Logik ...

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Laurent Verycken
Formen der Wirklichkeit
Logik

"Die Logik ist geknüpft an die Bedingung: gesetzt, es gibt identische Fälle." - FRIEDRICH NIETZSCHE

Organisation des Denkens bedeutet Einheit und Ordnung in unsere Gedankenwelt zu bringen. Ordnung gibt Sicherheit. Die ideale Ordnung ist das vollendet Logische. Der Kern des Denkens, der Logik und der objektiven Wissenschaft sind Symbole und Zeichen, bzw. Begriffe und Zahlen. Die Zahl ist die einfachste und allgemeinste Idee. Auf Zahlen kann man sich am ehesten einigen. Groessen koennen mathematisch und damit objektiv ermittelt werden. Die Quantifizierung der Wirklichkeit geschieht durch Abstraktion, d.h. durch Wort oder Zahl. Das logische Rechnen mit Woertern und Zahlen bestimmt wieviel und wie gross. Wir ordnen die Welt nach Begriff, Mass und Zahl. Alle Messungsgroessen sind Zaehleinheiten oder Begriffsformen. Mathematisierung bedeutet Formalisierung. Die klassische Ding-Logik der quantitativen Begriffe ist die Logik der Messung. In der quantitativen Methode der Abstraktion werden saemtliche inkommensurable Groessen und qualitativen Unterschiede ausser acht gelassen und auf einen einzigen Koeffizienten reduziert: den der numerischen und begrifflichen Zaehlbarkeit.Gleichartig ist dann alles, was mathematisch erwogen werden kann. Aus der Gleichheit wird eine regelmaessige Struktur und daraus eine Ordnung.

Alle Erkenntnis beruth im Grunde auf menschlichen Abstraktionen in Form von begrifflicher Gleichsetzung. In der kategorialen Form ist das Urphaenomen des logischen Denkens zu suchen. Indem wir ein Ding oder einen Vorgang benennen, legen wir ihm Identitaet bei. Wir nehmen einen gemeinsamen Charakter an, wo wir eine Reihe von Einzeldingen mit dem selben Namen bezeichnen. Alles, was wir brauchen, ist eine Ereignisreihe, die fuer uns genuegend Einheit besitzt, um entweder gemessen oder benannt werden zu koennen. Das logische Denken braucht abgegrenzte und in Einheit gefasste Objekte als Denkgegenstaende. Erforschbar ist nur, was gleichbleibende Eigenschaften hat. Gegenstaendlichkeit ist deshalb eine absolute Voraussetzung allen Erkennens. Im logischen Denken werden darum Prozesse zu Dingen gemacht. Die sprachliche, oder die logische Form ist der Anfang des isolierten Dings und der getrennten Existenz. Aus einem unendlichen, fliessenden Geschehen grenzen wir ein Objekt ab und machen es zum Ding, zur Substanz - wir vergegenstaendlichen die Wirklichkeit. Der Begriff des Dings ist aber nur eine kuenstliche Einheit, die aus einem unendlichen Zusammenhang herausgerissen wird.

Alles streng logische Denken ist nur auf abstrakte Objekte anwendbar. Sinnliche Erfahrungen sind primaer wortlos. Sensa sind stumm. In den Woertern ist das Sinnliche abgestreift. Wenn wir etwas beschreiben, bezeichnen wir nicht unsere Empfindungen, sondern wir passen unsere Empfindungen den abstrakten Symbolen an. Subjektive Empfindungen und sinnliches Erleben werden zugunsten der pragmatisch verwertbaren, objektiven Konstrukte vernachlaessigt. Im Vorgang des Abstrahierens halten wir immer den Fluss des konkreten Erlebens an. Im abstrakten Ausdruck nehmen unsere Sinneserlebnisse Form an und geben ihren speziellen Charakter auf. Was mit einem Namen bezeichnet wird, wird als Ding betrachtet. Die Aehnlichkeit der Empfindungen wird zur Gleichheit des Begriffs.

Vom Standpunkt des Identitaetsgesetzes existiert das Kontinuum der Empfindungen nicht. Die Sprache ordnet zwar die Sinnesempfindungen, das Erleben selbst kann aber nur unzureichend in Aussagen ausgedrueckt werden. Was als Individualitaet des Augenblicks oder als das Besondere eines Moments empfunden wird, ist eine individuelle Bedeutungsqualitaet, die wir erleben und die durch eine verallgemeinernde Bezeichnung erheblich entstellt wird.

    "In der Sprache liegt die Reflexion und daher vermag die Sprache das Unmittelbare nicht auszusagen. Die Reflexion toetet das Unmittelbare. Das Unmittelbare ist naemlich das Unbestimmbare, deshalb kann es die Sprache nicht fassen." (1)

Mit Worten gelangen wir keinesfalls ueber eine bildliche Darstellung der Welt hinaus. Kategoriale Verarbeitung der Empfindung heisst immer Vereinheitlichung des sinnlichen Stoffes und ist damit aber schon eine substantialisierende Verfaelschung der gegebenen Wirklichkeit. Verallgemeinerungen stellen nur einen praktischen Wegweiser dar inmitten der Zufaelligkeiten und Einmaligkeiten, sie sind aber nicht das Ziel. Wenn wir die Wirklichkeit mit einer Stadt vergleichen, so gelangen wir mit den Abstraktionen bestenfalls an den Stadtrand, aber nicht weiter.

Unser ganzes Wissen besteht aus Worten und Zahlen. Diese Abstraktionen sind Sammelbezeichnungen fuer jeweils eine Klasse von Dingen. Begriffe werden gebildet, indem aus den gemeinsamen Merkmalen einer Reihe von Dingen eine Bezeichnung durch ein Wort gesetzt wird. Die Dinge werden nach Worten klassifiziert. Klassifikation und Systematisierung von sinnlicher Empfindung schafft den sprachlichen Ausdruck. Der statische Begriff tritt an die Stelle einer dynamischen Wirklichkeit. Denken heisst klassifizieren; etwas in diese oder jene Kategorie von Dingen einordnen. Angenommene Identitaet und Nichtidentitaet bilden deshalb die Basis des logischen Denkens.

Klassifizierte Sachen sind miteinander vergleichbar und koennen zueinander in Beziehung gesetzt, bzw. gegeneinander abgerechnet werden. Der verallgemeinernde Analogieschluss macht aus dem individuellen Material eine allgemeine Vorstellung. Alle so entstehende Abstraktionen sind aber ideale Vorstellungen, weil sie mehr das beschreiben, was sein sollte und nicht das, was ist. Nur dadurch, dass aus der bestenfalls bestehenden Aehnlichkeit kuenstlich und willkuerlich berechenbare Gleichheit gemacht wird, lassen sich weitere logische Schluesse bilden. Die Vergleichung von blossen Aehnlichkeiten gaebe keinen wirklichen Schluss.

Logische Zugehoerigkeit kann sich nur zwischen Elementen der gleichen Klasse abspielen. Die Logik braucht abgegrenzte und dauerhafte Objekte, um ihre Arbeit tun zu koennen. Da keine Logik aber dem kontinuierlichen Verlauf in der Wirklichkeit entsprechen kann, muss das Isolationsdenken der Logik den lebendigen Zusammenhang kappen, der die Dinge verschieden macht. Abstrakte Identitaet gibt es nur durch Preisgabe der konkreten Verbindungen. Die ungeheure Vielfalt des Vorhandenen wird der reduzierenden Generalisierung geopfert. Kuenstliche Einheiten werden da aufgestellt, wo faktisch eine Vielheit besteht. Durch die Reduktion auf dieselbe Einheit sind dann verschiedene Dinge vergleichbar. Erst nach dieser kuenstlichen Aufbereitung kann mit den Worten weitergerechnet werden. Beschreibung ist aber stets Vereinfachung. Durch den Gleichklang des Namens werden immer grundlegende Unterschiede verwischt.

Rationales, bzw. logisches Denken ist das begriffliche Auseinanderlegen eines eigentlich kontinuierlichen Stroms des sinnlichen Erlebens und betrifft immer nur ausgewaehlte Abschnitte der Wirklichkeit, niemals ihre grenzenlose Vielfalt. Die Logik erfordert Zusammenfassung des Mannigfaltigen in Einheit. Die abgegrenzte Form macht das Wesen des Individuums - sehen wir von der Form ab, wird Vielheit. Die wissenschaftlichen Methoden beziehen sich deshalb auf eine abgrenzbare, d.h. einheitliche Gegenstaendlichkeit. "In der Wissenschaft ist der Inhalt wesentlich an die Form gebunden."(2) Wir wissen nur, was sich unseren Denkformen fuegt. Es gibt keine Logik ohne Abstraktionen. Allgemeingueltiges Denken braucht Systematik und Einheit. Rationales Wissen ist abstrakt und dient nicht dem Verstehen, sondern dem Zerschneiden. Abstraktion heisst Allgemeingueltigkeit und diese basiert auf der Zerstoerung des Besonderen. Alles Uneinheitliche und Unvergleichliche ist dem Logiker notwendig irrational. Fortschritte im Erkennen werden nur in der Auffindung von Identischem gesehen. Das Entdecken von identisch wiederkehrenden Eigenschaften ist die haeufigste methodische Geistestaetigkeit.

Logik, bzw. Sprache, ist eine Stabilisierung von Bewusstseinsvorgaengen, indem Inneres an Symbolen festgemacht wird. Die Sprache verleiht seelischen Vorgaengen und Prozessen, die vorher fliessend und undeutlich waren, Konturen. Alles nur dunkel Gegenwaertige soll in der Form der Gegenstaendlichkeit klar werden. Die Sprache objektiviert unsere Sinnesempfindungen, indem sie das "panta rhei"(3) des individuellen Erlebnisses in eine objektiv-logische Ordnung transformiert. Sprachliche Fixierung reisst den sinnlichen Eindruck aus der Einheit des Erlebens und bringt ihn als Abstraktion unter die Allgemeinheit des Denkens. Im wissenschaftlichen Denksystem werden die Dinge nur begriffen, insofern sie aus dem kontinuierlichen Zusammenhang all unserer Empfindungen herausisoliert wurden. Doch gerade die Zusammenhaenge in erlebter Zeit und konkretem Raum sind es, die einem Gegenstand seinen spezifischen Charakter geben. Wirklich sind die Dinge nur im erlebten Hier und Jetzt, d.h. als Einzelne.

Wirkliche Existenz gibt es nur einmalig an einem einzigen Ort zu einer einzigen Zeit. Es gibt nur ein einziges Ding, das zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt an einem ganz konkreten und nur diesen Ort sein kann. In der lebendigen Wirklichkeit gibt es keine Gleichheit. In keinem Lebensbereich gibt es reine Typen. Es ist ein Irrtum zu glauben, in den Abstraktionen haetten wir eine Methode, mit der sich alles Geschehen auf der Welt auf einen Nenner bringen liesse." Die Wirklichkeit in ihrer Besonderheit und Individualitaet ist die Grenze fuer jede naturwissenschaftliche Begriffsbildung."(4) Der theoretischen Verallgemeinerung steht immer die faktische Ungleichheit gegenueber. Was mit demselben Namen bezeichnet wird, ist niemals ansich gleich, sondern wird einfach gleichgesetzt, weil einzelne Unterschiede fuer unsere Zwecke nicht von Bedeutung sind. Eigentlich hat es aber keinen Sinn zu fragen, wie etwas ansich beschaffen ist, abgesehen vom Zusammenhang mit allen anderen Elementen.

Irrtum und Wahrheit des logischen Denkens setzen ein Erleben voraus fuer das dauernde Dinge wesentlich sind. Ein seiendes Ding gibt es aber nur in der menschlichen Optik. Der Eindruck der Stabilitaet beruth auf der Grobheit unserer Sinne. Wir sind daher einem Trug erlegen, wenn wir die logische Beharrlichkeit fuer einen unmittelbaren Ausdruck der Wirklichkeit halten. Unser Denken ist nicht mit der Wirklichkeit identisch. Abstraktion von fliessendem Geschehen ist, mit anderen Worten, Verallgemeinerung, Generalisierung. Generell heisst zeit-raeumlich unbeschraenkt, bedeutet allgemeingueltig, ansich, d.h. an jedem Ort, zu jeder Zeit. "Der Begriff allein ist es, wodurch die Dinge in der Welt Bestand haben."(5) Nur zeitlos-ideale und allgemeine Wesenszusammenhaenge sind Gegenstand der reinen Logik, nicht aber individuelle Vorgaenge. Die Logik hat es immer mit dem verallgemeinerten Gehalt sprachlicher Ausdruecke zu tun. Die Einfachheit der Verdinglichung ist der blosse Kunstgriff eine ganze Reihe von Merkmalen zu vernachlaessigen und nur die wichtigsten Eigenschaften herauszugreifen, um moegliche Komplikationen, welche durch die Vielfalt des Wirklichen entstehen, zu vermeiden. Die Logik rechnet immer mit den Klassenbezeichnungen der Dinge. Abstraktionen sind idealtypische Vereinfachungen.

Ueberall ist die Sinnlichkeit gewissermassen im Kampf mit der Logik. Die Sprache der Logik ist eine Sprache des Gesetzes gegenueber einer chaotischen Unmenge von Einzelheiten. Mit den Kategorien unternehmen wir den Versuch, die Erlebnisse in Begriffe zu pressen. Die Einheitlichkeit des konkreten Erlebens wird auf die Systematik des abstrakten Denkens reduziert. "Der Logiker verwandelt schoene, gewundene und reissende Fluesse in schiffbare Kanaele."(6) Das Unvergleichbare aber entzieht sich weiter einer exakten Kontrolle und bleibt fuer die mechanische und technische Verwertung weitgehend unbrauchbar. Wo zuviele Einzelheiten Unklarheit schaffen, stehen Verallgemeinerungen fuer die Einfachheit. "Alle Dinge beduerfen eines Namens, dass sie nicht schluepfrig dem Zugriff entgleiten. Denn der Name erst macht das Ding."(7)

Was wir aber zu einem Substantiv abstrahieren, ist immer ein mehr oder weniger komplexer Tatbestand. Stein, Baum, Buch - alles ganze Gruppen von Ideen. Aus praktischen Gruenden nehmen wir aber an, dass ein jeder schon irgendwie weiss, was ein Stuhl oder ein Apfel ist. Es waere auch zu umstaendlich, wenn wir im taeglichen Umgang alle unsere Begriffe immer erst gegenseitig definieren muessten. Das Wort, das wir bei einer Bezeichnung gebrauchen, trifft fuer Dinge der gleichen Art, Klasse, Gattung zu. Der Begriff Vogel entspricht aber einem Vogel ansich und deckt sich nicht mit einem wirklich lebenden Vogel. Logik setzt eine Gleichheit voraus, die es im Grunde gar nicht gibt.

Alle logischen Probleme sind Probleme der Objektivitaet, d.h. der Gegenstaendlichkeit. Nur ueber die Vergegenstaendlichung ist es uns erst moeglich, verschiedene Vorgaenge mit dem selben Namen zu bezeichnen. Namensgleichheit ist aber nicht Identitaet. Die Nichtberuecksichtigung des Unterschieds zwischen Gleichheit und Aehnlichkeit ist deshalb der Grundfehler des logischen Denkens. Viele Unklarheiten und Verstaendigungsprobleme koennen auf die unkritische Uebernahme von Begriffen zurueckgefuehrt werden. Das unkritische Denken in Begriffen ist eine blosse Gleichsetzung, bei der nichts herauskommen kann, was wir nicht hineingelegt haben. Logisch wird nichts Neues erschlossen. Die Logik ist fuer die hoehere Erkenntnis deshalb eine unfruchtbare Disziplin, weil sie eine Gleichheit voraussetzt, die es nicht gibt. Logik beruth auf der Voraussetzung, dass es identische Faelle gibt und diese Identitaet wird zeitunabhaengig postuliert. Der Satz der Identitaet schreibt der Setzung konstante Geltung zu. Logik ist nur infolge dieses Grundirrtums moeglich. Der Fehler des Generalisierens besteht dabei in der Annahme dass, wenn zwei Dinge in vielen oder einigen Beziehungen uebereinstimmen, sie wohl auch noch in allen anderen Beziehungen uebereinstimmen werden.

Damit Wissen uebertragbar ist, muss der Gegenstand gewisse Gleichfoermigkeiten und Gesetzmaessigkeiten aufweisen. Die fliessende Uebergaenge in unserem Gefuehlsleben sind aber logisch nicht greifbar. Es gibt keine logische Moeglichkeit exakt festzustellen, wo genau der Punkt liegt, an dem der eine Zustand unseres Seelenlebens zu einem anderen wird. Das kontinuierliche Erleben ist logisch genausowenig fassbar, wie die Gegenwart. Uebergang und Gegenwart sind irrationale Grenzlinien, die logisch nicht greifbar sind. In dem Augenblick, in dem der Verstand sie zu erfassen sucht, existieren sie schon nicht mehr. Das Kontinuierliche ist irrational, ueberbegreiflich. Das logische Denken erfasst das Werden immer nur fragmentarisch. Im unaufhoerlichen Fluss der Erscheinungen gibt es keine beharrenden Substanzen - weder Dinge, noch Personen, noch Ideen.

    "Wie die koerperliche, so ist auch die seelische Welt nur eine abstrakte Begriffsbildung der Erkenntnis; sie sind beide etwas gedanklich Geschaffenes, begrifflich herausgeloest aus einem einheitlichen Tatbestand unseres Erlebens, Reflexionspunkte, aber nicht Arten von Realitaet."(8)

Objektivieren heisst nichts anderes, als mittels Abstraktion aus einer individuellen Qualitaet eine allgemeine Quantitaet, ein Objekt zu machen. Dieses Objekt ist aber nichts Wirkliches, sondern nur etwas Gedachtes. Es ist deshalb ein verhaengnisvoller Fehler, das Denken als ein Mittel anzusehen, objektive Erkenntnis zu gewinnen. Es gibt kein Wissen, das immer und ueberall unbedingte Geltung haben muesste. Allgemeine Geltung geht immer auf einen menschlichen Wunsch oder ein Ideal zurueck. Der Zweck, der hinter der logischen Verallgemeinerung steckt, heisst Gesetzmaessigkeit und mit dieser Gesetzmaessigkeit wird Ordnung gerechtfertigt. Allgemeingueltigkeit wird aber nicht durch bloss logische Verallgemeinerung erreicht. Was Gesetzmaessigkeit genannt wird, geht auf menschliche Vorstellungen von quantitativen Einheiten zurueck und diese Einheiten sind immer mehr oder weniger willkuerlich geschaffen. Das gilt fuer die Zahl genauso, wie fuer das Wort. Jede theoretische Definition hat einen praktischen Zweck.

In der Natur gibt es keine genau gleichen Wesen, keine uebereinstimmenden Tatsachen, keine Regeln, die sich unterschiedslos auf mehrere Dinge zur selben Zeit anwenden liessen. Die Mystik der Natur liegt darin, dass kein Begriff und kein Gesetz jemals allgemeingueltig sein kann. In der Natur ist alles einzig und unvergleichbar. Die wirkliche Natur passt sich nicht dem binaeren Denken, als der ueblichen Verhaltensweise unseres Intellekts an. Die Singularitaet des Wirklichen ist im Prinzip unerschoepflich. Alle Gleichungen sind ohne Ausnahme Mythen.

    "Es gibt nur einzelne Sterne, keinen Stern ueberhaupt, es gibt nur einzelne Hunde, keinen Hund ueberhaupt. Es gibt nur einzelne Menschen, keinen Menschen ueberhaupt.... Also Stern, Hund und Mensch sind Vorstellungen, denen keine Wirklichkeit entspricht."(9)"Pferde sehe ich wohl, aber keine Pferdheit."(10)

Jede Logik steht und faellt mit der Klassifikation ihrer Elemente. Gleichsetzung und Logik sind im Grunde auswechselbare Begriffe. Aus unklassifizierten Tatsachen lassen sich keine Schluesse ziehen. Was mit nichts anderem vergleichbar ist, kann eigentlich ueberhaupt nicht beschrieben werden. Logische Klassifikation bedeutet deshalb immer, von den speziellen Gegebenheiten in Raum und Zeit abzusehen. Die Geometrie zum Beispiel beschaeftigt sich mit exakten Kreisen; kein sinnlich wahrnehmbares Objekt ist jedoch vollkommen kreisfoermig; auch wenn wir unseren Zirkel noch so sorgfaeltig benuetzen, es werden sich doch stets einige Unvollkommenheiten und Unregelmaessigkeiten ergeben. Alle Typen sind stets gedankliche Konstruktionen und als solche niemals voll in der Wirklichkeit vorfindbar.

    "Es ist, als sollten in einem bestaendig stroemenden Fluss Linien gezogen werden, Figuren gezeichnet, die standhielten. Zwischen dieser Wirklichkeit und dem Verstand scheint kein Verhaeltnis des Auffassens moeglich, denn der Begriff trennt, was im Fluss des Lebens verbunden ist, er repraesentiert etwas, das unabhaengig von dem Kopf, der es ausspricht, gilt, also allgemein und immer. Der Fluss des Lebens aber ist ueberall nur einmal, jede Welle in ihm entsteht und vergeht."(11)

Die ideale Gleichheit, die der Begriff leisten soll, wird von uns selbst geschaffen und ist keineswegs ansich vorhanden. Allgemeinheit ist kein Verhaeltnis des Seins, sondern des Denkens. "Das Allgemeine ist nichts als der Name."(12) Abstrakte Begriffe bezeichnen immer mehr oder weniger eine Gesamtheit und keine Einzelheit. Abstraktionen beschreiben Klassen und Gattungen. Die Gattung ist nicht, wie das Individuum auf konkreten Ort und Zeit eingeschraenkt, sondern als Allgemeinheit ist sie ueberall und immer. Der allgemeinste aller Namen ist das Ding oder die Substanz. Kategorien sind allgemeine Formen. Wo das Einzelne sich nicht der logischen Allgemeinheit fuegt, wird es durch Abstraktion eben fuegsam gemacht.

    "... das Einzelne wird den Zwecken des Auffassens der Wirklichkeit unterworfen; die Veraenderlichkeit des intuitiv Gegebenen wird in einer Beziehung von Begriffen zu allgemeingueltiger Repraesentation erhoben; das Konkrete wird durch Abstraktion und analytisches Verfahren in gleichartige Reihen gebracht, welche Aussagen von Regelmaessigkeit gestatten."(13)

Abstraktionen druecken die Aequivalenzen aus. Jede objektive Definition setzt die eingebildete Kongruenz von Wort und Sache voraus. Die logische Gleichsetzung ist von fundamentaler Bedeutung fuer jede Art der Berechenbarkeit. Die Deutung der Bestandteile der Welt geschieht deshalb immer nach irgendwelchen harmonisierenden Analogien. Die Gleichheitsidee erscheint als Gleichheitszeichen = als Kopula ist und als Ausdruck der Existenz sein/ist. Jeder Begriff und jede Theorie hat aber nur analoge Bedeutung.

    "Der Satz A ist A ist zwar die Grundlage allen Erkennens, aber selbst keine Erkenntnis, sondern eine Tat des Geistes, ein Akt urspruenglicher Synthesis, durch welchen als notwendiger Anfang allen Denkens eine Gleichheit oder ein Beharren gesetzt werden, die sich in der Natur nur vergleichsweise und annaehernd, niemals aber absolut und vollkommen vorfinden. Der Satz A ist A zeigt also gleich auf der Schwelle der Logik die Relativitaet und Idealitaet alles unseres Erkennens an."(14)

Der zwingende Schluss ist ein Irrtum und Allgemeingueltigkeit immer ein Fehlschluss. Logischer Zwang ist von axiomatischen Voraussetzungen abhaengig. Es gibt aber kein Axiom, das unbedingt anerkannt werden muss. Wir koennen allenfalls durch aeussere Gewalt zu einem bestimmten Verhalten genoetigt werden, um z.B. einer Lebensgefahr zu entgehen. Es gibt aber auch hier immer nur den Zwang, der Gewalt zu gehorchen, nicht den, einen objektiven Sachverhalt einzusehen. Alles Wissen ist quantitativ. Nur das Berechenbare wird erkannt. Wissen und Berechenbarkeit koennen deshalb im Grund gleichgesetzt werden. "Durch die Gleichsetzung von Realitaet mit Quantitaet ist der menschliche Geist Erkenntnis geworden."(15)

Logik ist deshalb im Grunde ein Zaehlen und ein Rechnen. Nur Quantitaeten und kontextunabhaengige Groessen koennen einem mathematischen Modell unterworfen werden. Logik ist Rechnung und alles Rechnen laesst sich auf Addition und Subtraktion zurueckfuehren. Unser rationaler Verstand gleicht im Prinzip einer arithmetischen Maschine, die sortiert und vergleicht. Wo nichts zu addieren oder subtrahieren ist, hoert das Denken auf. In der Logik wird mehr oder weniger alles mit allem gleichgesetzt und aufaddiert. "In vollkommener Reinheit hoert die wissenschaftliche Sprache auf, eine Sache der Woerter zu sein, und verwandelt sich in Mathematik."(16)

Anmerkungen:

SOEREN KIERKEGAARD: Entweder/Oder, Guetersloh 1985, Seite 74
G.W.F. HEGEL: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/Main 1986, Seite 13
HERAKLIT: "alles fliesst"
HEINRICH RICKERT: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Stuttgart 1986, Seite 65
G.W.F. HEGEL: System der Philosophie, Leipzig 1923, Seite 425
JOHN NEWMAN: Grammaire de l'assentiment, o.J., Seite 217
AUGUSTINUS ohne Quelle
VIKTOR KRAFT: Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, Leipzig 1912, Seite 126
HANS VAIHINGER: Die Philosophie des Als-Ob, Berlin 1911, Seite 401
ANTISTHENES in HANS SVEISTRUP: Stirners drei Egoismen, Freiburg/Br. 1983, Seite 31
WILHELM DILTHEY: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt/Main 1981, Seite 349
F.A. LANGE: Geschichte des Materialismus, 2 Bde. Frankfurt/Main 1974 I, Seite 68
WILHELM DILTHEY: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt/Main 1981, Seite 152f
F.A. LANGE: Geschichte des Materialismus, 2 Bde. Frankfurt/Main 1974 II, Seite 1010
EMILE MEYERSON: Wirklichkeit und Identitaet, Leipzig 1938, Seite 98
ALDOUS HUXLEY in HELMUT KREUZER (Hrsg): Die zwei Kulturen, Muenchen 1987, Seite 170